Geliebtes Fräulein
Herbert Schneider
[16 Seiten]
Eine Liebesgeschichte im Winter, in der neben viel Sehnsucht und
Zärtlichkeit das problematische Verhältnis zwischen einem jungen
Mann und einer viel älteren Frau im Vordergrund steht. Die einst so
viel gepriesene Emanzipation entgleist zur Satire und am Schluß finden
sich zwei glückliche Menschen in der Erkenntnis: "Wer liebt, fragt
nach dem Alter nicht."
[Textauszug]
"Erstens mit dem jungen Aspiranten schon garnicht und zweitens habe
ich schon vor zwei Monaten Urlaub für Februar eingereicht. Ich werde
mir mein wirklich erstes Wintererlebnis durch eine geschmacklose Fotosafari
auf den mit Playboys und fragwürdigen Dämchen überladenen
Skipisten der Schweiz nicht verderben lassen!" hatte sie ihm schnippisch
geantwortet. "Ich weiß, die Claudia wäre Ihnen lieber gewesen",
war er dazwischengefahren, " aber die ist ja jetzt in München eine
gutbezahlte Texterin in einer großen Werbeagentur. Der waren wir
nicht gut genug." "Zum Lachen" war ihre Antwort gewesen, "Sie haben
Frau Velden hinausgeekelt, wie Sie es seit langem mit mir versuchen."
Sein plötzliches Schreien vor all den anderen, sein arrogantes
Sichaufspielen und all das Miese an diesem Mann hatte ihr den Rest gegeben:
"Nein,
Schluß --- nichts mehr Klick" hatte sie aufbrausend geantwortet
und ihren Krempel zusammengepackt.
Sie mußte wieder lachen, als sie in diesem Moment an Müllers
Gesicht erinnert wurde. Blaß geworden, mimte er einen bühnenreifen
Mephisto: "Hinaus, hinaus -- die Redaktion dieser Zeitung ist für
Sie zeitlebens tabu."
'Wagen Nr. 6#, Helga stieg ein, 'Platz Nr.18' -- fabelhaft, ein Fensterplatz.
Ein Glück, daß die Reservierung noch klappte.
Die rhythmisch monotonen Geräusche des fahrenden Zuges ließen
Helga bald einschlafen. Ihr Kopf war in die Ecke gesunken und halb von
der dort hängenden Pelzjacke verdeckt. Über der hohen Stirn hing
eine Strähne der blonden lockigen Haare, die trotz starken Pustens
immer wieder zurückfiel. Als sie verärgert halb im Schlaf nach
ihrem Kamm griff, bemerkte sie, daß ihr gegenüber ein junger
Mann Platz genommen hatte. Er nickte ihr freundlich zu. Etwas verlegen
versuchte sie zu lächeln und betrachtete sich im Spiegel, wie es jede
Frau tut, wenn sie glaubt, daß sich jemand länger mit ihrem
Äußeren beschäftigt als sonst üblich, was ganz bestimmt
bei jenem Herr der Fall war.
'Nun, was soll's' dachte sie; schließlich wußte sie von
ihrer Ausstrahlung Männern gegenüber, von ihren braunschillernden
Rehaugen, mit denen sie, wie einmal ein Verehrer festgestellt hatte, zwar
scheu, aber auch berechnend verführerisch, von der bleibenden Chance
wissend, katzenhaft ihrer Umwelt auflauerte.
Sie blickte aus dem Fenster und war überrascht. Da, wo noch soeben
eine regenverhangene Landschaft sich vor ihr ausbreitete, glitten jetzt
schneebedeckte Wiesen und Wälder an ihr vorbei. Graue Schleier kündigten
den Abend an, eine Nacht, deren Dunkel zum erstenmal von lustig tanzenden
weißen Flocken aufleuchten würde. Am liebsten wäre sie
ausgestiegen, hinaus in die Wälder gestürmt, in die Freiheit[...]
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